Simpel (2015)
Produktion: Letterbox Filmproduktion, C-Films, Amalia Filmproduktion
Regie: Markus Goller
Drehbuch: Dirk Ahner, Markus Goller
Inspiriert von dem gleichnamigen Roman von Marie-Aude Murail
Produzent: Michael Lehmann
Co-Produktion: Benjamin Seikel, Cornel Schäfer
Redaktion ZDF: Caroline von Senden, Alexandra Staib
Mit David Kross, Frederick Lau, Emilia Schüle, Devid Striesow, Axel Stein, Anneke Kim Sarnau
Kinostart: 09.11.2017
Story
Ben (Frederick Lau) hat keinen festen Job, aber auch so alle Hände voll zu tun. Auf dem Hof der Familie direkt hinterm Deich pflegt er seine todkranke Mutter (Anneke Kim Sarnau) – und seinen Bruder Barnabas, genannt Simpel (David Kross), der nur vom Alter her erwachsen ist, sich im Kopf aber nie über den Stand eines kleinen Kindes hinaus entwickelt hat. Wozu auch gehört, dass Simpel sich gern einmal selbstständig macht.
Ben liest ihn (wieder einmal) weit draußen im Watt auf, wo Simpel zusammen mit seinem treuen Begleiter, dem Stofftier Monsieur Hasehase, gerade einen neuen Kontinent samt Ureinwohnern entdeckt hat. Aus Freude über die Entdeckung muss Simpel erst einmal eine Runde mit Ben tanzen. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Flut kommt, kann Ben ihn zurück an Land bugsieren. Abends bekommt Simpel sein Lieblingsessen Quasiloten.
Als Ben der Mutter ihr Essen ans Bett bringen will, findet er sie tot vor. In der Kirche, am offenen Sarg, nimmt Simpel Abschied von seiner Mutter: Er verspricht, auf Ben aufzupassen, wünscht ihr gute Verreisung und gibt ihr einen letzten Kuss. Zurück zuhause, kriegen die Brüder Besuch: Der Dorfpolizist bringt die Nachricht, dass Bens Antrag, Simpel zu betreuen, abgelehnt wurde. Der Vater der beiden, der schon lange getrennt von ihnen lebt, hat Einspruch eingelegt – und nun soll Simpel in wenigen Tagen ins Heim gebracht werden.
Als es dann tatsächlich so weit ist, der Polizist und der Anstaltsleiter anrücken und Simpel in den Polizeibus steigt, rastet Ben aus. Ben holt den Polizisten vom Fahrersitz, setzt sich selbst ans Steuer, und schmeißt auch den Anstaltsleiter hinaus. Nun sind Ben und Simpel unversehens auf der Flucht…
Aber wohin?
Simpel schlägt vor, ans Meer, zu den Haien zu reisen, aber Ben hält es für besser, ihren Vater aufzutun – Simpel lebt seit Jahren in dem Glauben, dass der Vater auf Geschäftsverreise ist, Ben aber weiß, dass er in der nahen Großstadt leben muss. Die Suche nach ihrem Vater und auch die Großstadt halten einige Überraschungen und Herausforderungen für die Brüder bereit.
An einer Tankstelle treffen sie die Medizinstudentin Aria (Emilia Schüle) – Simpel rempelt sie aus Versehen an und teilt ihr mit, dass sie eine schöne Dame sei. Aria und ihr Kumpel, der Sanitäter Enzo (Axel Stein), lassen das komische Pärchen mitfahren. In der Großstadt angekommen, steigen sie am Hafen aus und verabschieden sich von Aria und Enzo.
Ben setzt Simpel an einer Bushaltestelle ab, während er das Autohaus sucht, wo sein Vater als Verkäufer arbeitet. An der Haltestelle kommt Simpel mit der Prostituierten Chantal ins Gespräch, die zunächst versucht, ihn als Kunden zu locken, ihn dann aber in die Animierbar, in der sie und ihre Kolleginnen arbeiten, mitnimmt. Ben tut im Autohaus zunächst so, als wolle er einen Wagen kaufen, gibt sich dann aber doch seinem Vater David (Devid Striesow) gegenüber zu erkennen – der sich mächtig freut, nach langer Zeit seinen Sohn wiederzusehen und lädt ihn ein, seine neue Familie kennenzulernen.
Simpel, schick gemacht mit Glitzertop und Federboa, spielt unterdessen in der Animierbar mit den Prostituierten Verstecken. Doch der Zuhälter schmeißt ihn kurzerhand raus. Weil er dabei aber Monsieur Hasehase wehgetan hat, stürzt sich Simpel voller Wut auf offener Straße auf ihn; genau in dem Moment, als Ben zurückkommt.
Ben greift sofort ins Geschehen ein, wird aber von dem Zuhälter verprügelt. Simpel bedroht den Zuhälter mit einer geklauten Pistole und Ben und Simpel fliehen durch die Hinterhöfe. Ben muss ins Krankenhaus. Dort treffen sie Aria wieder, die Ben versorgt. Aria lässt die beiden ihn ihrer Wohnung übernachten. Am nächsten Morgen will Ben auf jeden Fall wieder mit ihrem Vater sprechen. Da Simpel sich strikt weigert mitzukommen, lässt Ben ihn notgedrungen bei Aria, setzt ihn vor den Fernseher und schärft ihm ein, nichts anzufassen, bis er wieder da ist.
Doch Simpels gute Vorsätze halten nicht lange. Als er auf eine Kochsendung umschaltet, kommt ihm die Idee, mitzukochen, und er macht fröhlich den Gasherd auf volle Stufe an. Während Ben im Autohaus von seinem Vater erfährt, dass er seiner neuen Familie immer verschwiegen hat, dass es Simpel überhaupt gibt, flambiert dieser Arias Küche, die fast ausbrennt.
Als Aria nach Hause kommt, finden sie den verstörten Simpel vor. Um ihn abzulenken, geht sie mit ihm auf den Kinderspielplatz, wo sie wippen und auf eine Geburtstagsgruppe aus einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen treffen, mit denen sich Simpel gleich anfreundet. Schließlich geht Aria noch mit Simpel auf den Jahrmarkt. Bei ihrer Rückkehr treffen sie auf Ben, dem Aria schwere Vorwürfe macht: Es sei völlig verantwortungslos, was er da mit Simpel mache! Ben erwidert wütend: „Ich mache nichts anderes, als mich um ihn zu kümmern!“
Enzo rät Ben, sich Wohnheime anzuschauen: ob das nicht doch das richtige für Simpel sei. Für Ben ist dieser Vorschlag aber nichts weiter als Verrat, und so flüchtet er mit Simpel mitten in der Nacht aus Arias Wohnung. Er trägt den schlaftrunkenen Simpel huckepack durch die Stadt.
Am nächsten Tag gehen Ben und Simpel zum Haus ihres Vaters; Simpel soll im Garten warten bis die Situation geklärt ist. Auf dem Balkon, außer Hörweite der anderen, versucht David, Ben zu erklären, warum er Simpels Existenz geleugnet und seine Einweisung bewirkt hat. Simpel wird es währenddessen im Garten langweilig, also klingelt er und wird von Davids Tochter hereingelassen.
Als David ihn entdeckt, schreit er Simpel nur ein „Geh raus!“ entgegen. Ben und Simpel stranden auf einem Bahnsteig. Dort kommt es zu einem heftigen Streit. Schließlich bricht es aus Ben heraus: „Weißt du, was ich mir wünsche? Einfach Ben zu sein!“ Simpel steigt, tief verletzt, einfach in die nächste Bahn ein, um Abstand von seinem Bruder zu bekommen. Ben lässt ihn machen und gibt sich erst zu spät den entscheidenden Ruck, als die Türen sich schon schließen und Simpels Zug ohne Ben losfährt. Simpel allein in der Großstadt – kann das gutgehen?
Ben muss versuchen, seinen Bruder zu finden, bevor ihm etwas zustößt – und er hat auch noch eine wichtige Entscheidung für sein weiteres Leben zu treffen…
Infos zur Produktion
Alles andere als simpel – der lange Weg vom Buch zum Film
Am Anfang stand die Faszination einer außergewöhnlichen Geschichte. Als „Simpel“, Marie-Aude Murails 2004 in Frankreich erschienener Roman, in deutscher Übersetzung herauskam, fand er auch hierzulande schnell ein begeistertes Publikum. Zu dem auch der Hamburger Produzent Michael Lehmann gehörte, Vorsitzender Geschäftsführer von Letterbox Filmproduktion –: „Ich habe auf einer Urlaubsfahrt in Italien das Hörbuch gehört. Ich war sofort begeistert von dieser außergewöhnlichen Geschichte der zwei Brüder und habe am nächsten Tag im Büro angerufen und gesagt: Recherchiert, ob die Rechte noch frei sind! Und als sich herausstellte, dass sie noch frei waren, haben wir zugeschlagen.“
Es war der ganz besondere Tonfall der Erzählung, gerade aber auch die Hauptfigur, – der junge Mann Simpel mit dem geistigen Stand eines Kindes, der die Welt anders wahrnimmt als alle um ihn herum – die Lehmann gleich anzog: „Es ist für mich einer der seelenvollsten Stoffe, den ich kenne. Es ist sehr schwierig, gute Komödienstoffe zu finden, und für mich ist hier beides vorhanden: Emotionalität zum Lachen und zum Weinen. Das ist das Besondere, und das hat mich von Anfang an überzeugt.“
Regisseur Markus Goller, der sich mit Filmen wie FRIENDSHIP! (2010), EINE GANZ HEISSE NUMMER (2011) und FRAU ELLA (2012) einen Namen als versierter Geschichtenerzähler für komödiantische wie auch für dramatische Stoffe gemacht hatte, kam ebenfalls sehr früh zu dem Projekt, „Simpel“ für das Kino zu adaptieren. Ihn sprach Benjamin Seikel von C-Films an (der als Koproduzent von SIMPEL fungiert) und gab ihm Murails Roman – mit der Frage, ob er darin einen Stoff fürs Kino sehen würde. Was Goller tat: „Was mich sofort total daran fasziniert hat, ist die Figur Simpel. Er ist ein Mensch ganz ohne Maske, ohne irgendwelche Filter, die wir ja alle haben, weil wir versuchen zu gefallen. Simpel hat das gar nicht, er ist einfach, wie er ist. Der lebt im Hier und Jetzt.“
Simpel – und sein Stofftier Monsieur Hasehase – waren als Zentrum der Story natürlich gesetzt. Die Entwicklung der übrigen Figuren nahm dagegen sehr viel Zeit in Anspruch. „Wir haben eine ganz, ganz intensive gemeinsame Bucharbeit gehabt“, berichtet Lehmann, in der er mit Markus Goller und dem Autoren Dirk Ahner zusammenarbeitete.
Von den ersten Anfängen 2011, als Goller den Roman las, ging es über viele Zwischenstufen, in Details noch bis kurz vor Start der Dreharbeiten Anfang 2016. Da war schon lange die Grundsatzentscheidung gefallen, die Handlung von Paris nach Deutschland zu verlegen – und auch, sich noch stärker als der Roman auf das Verhältnis der beiden Brüder Simpel und Ben zu konzentrieren.
Michael Lehmann: „Markus Goller hat nach Figuren gesucht, die keine Abziehbilder sind, sondern authentische Charaktere, die mit beiden Beinen im Leben stehen, in einem Leben, das nicht Hochglanz ist, sondern das wir mit all seinen Irrungen und Wirrungen zeigen.“
Außerordentliche Rollen erfordern außerordentliche Darsteller – die Besetzung David Kross war ein Schauspieler, den die Filmemacher schon ganz früh im Visier für SIMPEL hatten. David Kross, der seit seinem Durchbruch mit DER VORLESER (2008) in der vordersten Reihe junger deutscher Schauspieler steht, nahm die Herausforderung an, eine ungewöhnliche Filmfigur wie Simpel zu verkörpern. Kross erklärt seinen Zugang zu Simpel so: „Er sieht die Welt ganz anders, ist wahnsinnig offen für alles; er geht offen auf die Leute zu und ist sich seiner Außenwirkung nicht bewusst. Er geht in eine Situation hinein, fühlt, was ist da für eine Energie, nimmt sie auf und spiegelt sie.“
Da Simpel mit Monsieur Hasehase in gewisser Weise ein Alter Ego mit sich herumschleppt, war Simpel fast schon eine Doppelrolle, wie Kross erzählt: „Er drückt er sich auch über Monsieur Hasehase aus, der ist so ein intuitives, dunkles Ich von Simpel. Wenn er verlegen ist, dann schickt er den gern mal vor, und wenn er böse ist, dann kann Hasehase auch mal, Halt die Klappe!’ sagen. Er ist halt immer da und er gibt auch eine gewisse Sicherheit – und dabei ist Hasehase auch so ein kleiner Anarchist…“
Kross war klar: Die Vorbereitung auf diese Rolle würde ganz besonders intensiv werden müssen, um es richtig hinzubekommen: „Es war mir bei der Rolle sehr wichtig, zu versuchen, jemanden in seiner Besonderheit und Einzigartigkeit darzustellen – ohne in Kitsch oder irgend so ein Klischee zu geraten.“
Dazu sprach Kross mit Psychologen und Psychiatern, traf sich mit geistig Behinderten und verbrachte Zeit mit ihnen, um zu beobachten und zu verstehen. Simpel selbst ist aber keine Imitation, sondern das Ergebnis seiner Suche nach der richtigen „Körperlichkeit“ für Simpel: „Als ich sie gefunden hatte, habe ich versucht, das durchzuziehen, in dieser Rolle zu sein – erst einmal 20 Minuten am Tag, und das war schon superanstrengend. Da habe ich schon gedacht: Oh Gott, wie soll ich das einen ganzen Film lang durchhalten? Ich habe dann aber immer jeden Tag ein paar Minuten mehr trainiert, und es hat auch wahnsinnig viel Spaß gemacht.“
Markus Goller ist von David Kross’ Lösung für Simpel begeistert: „David hat dieses unglaubliche Leuchten, diese unglaubliche Offenheit der Welt gegenüber. Der Zuschauer muss ja mit der Figur mitgehen und muss sie mögen, es darf aber auch nicht zu ulkig sein. Das hinzukriegen, ist eine große Herausforderung. David ist ein Traum, das ist schon einmalig.“ Dazu brauchte es jemanden, der mit David Kross harmonieren würde – und auch darstellerisch mit ihm mithalten könnte.
Dass Frederick Lau so jemand ist, hat er seit seinem ersten großen Erfolg mit DIE WELLE in Dutzenden von Kino- und Fernsehrollen bewiesen. Bevor er zu SIMPEL stieß, hatte Lau gerade erst den Deutschen Filmpreis als Bester Hauptdarsteller in Sebastian Schippers VICTORIA gewonnen. In der Rolle des Ben hatte Lau, wie Michael Lehmann erklärt, einen Balanceakt zu bewältigen: „Ben ist erst in sich verschlossen und tritt dann aus sich heraus, und dann spürt man auch seinen Charme und Humor, gleichzeitig aber auch sein Ringen mit sich selbst.“
Laus Ausgangspunkt für seine Figur war, dass Ben sich gar nicht mehr bewusst ist, wie sehr ihn das Leben mit Simpel beeinflusst hat: „Ben ist ein ganz normaler Kerl, der zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder aufgewachsen ist und sich so mit ein paar Nebenjobs über Wasser hält, aber das ist eigentlich nebensächlich. Für ihn ist es die Familie, die ihn stark macht und am Leben hält. Irgendwann ist es für ihn Normalität geworden, auf Simpel aufzupassen. Es war halt immer so.“
Das Zusammenspiel vor der Kamera von David Kross und Frederick Lau stellte sich von den ersten gemeinsamen Proben an als Volltreffer heraus, wie Michael Lehmann berichtet: „Wenn man die beiden nebeneinander gesehen hat, hat man erst einmal geglaubt, das könnten Brüder sein. Es sind wirkliche Herzensverwandte. Man spürt, dass die Liebe nicht erst erspielt werden muss, sondern in jeder Szene mittransportiert wird.“
Aber so sehr bei SIMPEL die Geschichte zweier Brüder im Mittelpunkt steht, wäre die Story nicht denkbar ohne die Menschen, denen sie auf ihrem nicht ganz freiwilligen Road Trip begegnen – allen voran die Zufallsbekanntschaften Aria und Enzo, die sich als verlässliche Freunde in der Not erweisen werden. Aria wird von Emilia Schüle gespielt, die sich vom „frechen Mädchen“, das sie erstmals 2008 in der Jugendbuch-Verfilmung spielte, zu einer wandlungsfähigen Schauspielerin entwickelt hat, die nicht zuletzt durch Fernsehrollen im „Tatort“ und im Mehrteiler „Charité“ einem breiten Publikum wohlbekannt ist.
„Emilia haben wir durch das Casting gefunden“, erzählt Goller: „Es gab eine Szene, in der sie Simpel ein Mini-Theaterstück vorspielt, um ihn wieder fröhlich zu machen, und das hat sie so lässig hinbekommen…!“ Die Rolle der Aria hat er als toughe Großstädterin angelegt, „die nicht so ,Frau-Frau’ ist, sondern Umph hat. Sie ist eine Frau, die alles kann, die alles hat, aber doch allein ist.“ Eine Figur, die Schüle sehr lag, wie sie berichtet: „Aria ist das Mädchen, mit dem man Bier trinkt. Sie ist Sanitäterin, sie ist emotional eine ziemlich distanzierte Person, deren Vertrauen man sich schwer erkämpfen muss und die nicht so in sich reingucken lässt.“
Für Emilia Schüle war SIMPEL nicht nur die Gelegenheit, erneut mit ihrem BOY 7- Kostar David Kross vor der Kamera zu stehen, sondern auch, endlich mit Markus Goller zusammenzuarbeiten: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit dem Regisseur von FRIENDSHIP! einen Film machen darf; damals, als ich den im Kino gesehen und am Ende geheult habe, weil es so schön war. Markus weiß einfach genau, was er tut. Ich bin ein großer Fan von ihm.“
Die Rolle des Enzo ging an Axel Stein – auch er war schon lange, bevor das Projekt seine endgültige Form fand, mit den Filmemachern im Gespräch. Als ausgesprochenen Komödiendarsteller reizte ihn diese rein dramatische Rolle umso mehr, und für ihn ist die Figur des Enzo ein Charakter, in den er sich sehr gut hineinversetzen kann: „Enzo ist ein total liebevoller Typ, der zu allen Leuten gleich einen Zugang findet, Er ist Rettungssanitäter, und das sagt viel über ihn aus. Er liebt seinen Job über alles, er bietet jedem seine Hilfe an und hat auch zu Simpel gleich einen Zugang.“
Am anderen Ende des emotionalen Spektrums des Films ist David angesiedelt, der Vater von Ben und Simpel, der 20 Jahre lang keinen Kontakt zu den beiden hatte und sogar Simpels bloße Existenz verleugnet, weil er nicht mit der Vorstellung klarkam, einen nicht „normalen“ Sohn zu haben. Wie so viele andere Elemente der Geschichte auch, spielte der Vater in den unterschiedlichen Drehbuchfassungen mal eine größere, mal eine kleinere und zwischendurch sogar gar keine Rolle mehr – bis die Filmemacher sich auf eine Version der Story einigten, in der David doch ein entscheidender Faktor ist. Markus Gollers Wunschkandidat war Devid Striesow, der gerade in der Hauptrolle als Hape Kerkeling in ICH BIN DANN MAL WEG ein Millionenpublikum ins Kino gelockt hatte – und schon mit vielen weiteren Filmprojekten ausgelastet war.
Goller erzählt: „Wir haben Devid gefragt, aber er hatte einfach keine Zeit. Dann habe ich ihm einen kleinen Liebesbrief geschrieben, und dann hat er sich doch vier Tage rausgeschnitzt. Es ist genauso geworden, wie ich es mir vorgestellt habe. Er liebt das Spielen, und das merkt man.“
Schneetreiben im Wattenmeer, Prügel auf der Reeperbahn – die Dreharbeiten Die erste Klappe zu SIMPEL fiel Ende Februar 2016 unter widrigen Umstände – bei null Grad Außentemperatur im niedersächsischen Wattenmeer.
„Es ist selten so, dass ich mit meinem Team bibbere, weil ich glaube, es gehört zu unserem Job auch ein Stück weit dazu, mit dem Wetter zu leben“, sagt Produzent Michael Lehmann: „Aber es war wahnsinnig kalt, und von einem Moment auf den anderen wechselten sich Schneefall und Sonne ab – das war schon extrem anstrengend für das Team.“
Aber wohl für keinen mehr als für David Kross, der in der Anfangssequenz als Simpel nur mit Unterhose bekleidet hinaus ins Watt zieht, und so antwortet Kross auf die Frage, wie er die Dreharbeiten in Erinnerung hat, auch mit: „arschkalt“. Kross weiter: „Das Lustige ist, dass es im Film so aussieht, als ob strahlender Sonnenschein und es überhaupt nicht kalt gewesen wäre. Zwischen den Takes habe ich natürlich gefroren und gezittert, aber während den Takes vergisst der Körper das dann einfach mal – das finde ich erstaunlich.“
Bis zum Drehschluss Mitte April hatte sich das Wetter deutlich in Richtung Frühling bewegt – für Markus Goller, der bevorzugt on location dreht, und sein Team eine deutliche Erleichterung. „Ich versuche halt immer, den ganzen Fluss einer Szene in einem Move hinzubekommen“, sagt Goller: „Das ist immer spannend, denn man merkt gleich, ob’s funktioniert. Wir machen das mehr oder weniger in einer Einstellung. So machen wir es, mein Kameramann Ueli Steiger und ich, schon seit FRIENDSHIP! (Sonst Wiederholung siehe Satz davor). Das ist für mich die größte Herausforderung, beim Dreh gewissermaßen gleich mitzuschneiden. Aber wenn wir in einer Szene bei Sonnenschein anfangen und am Ende im Schnee stehen, müssen wir eben noch einmal drehen…“
Die fantastische Energie, die Michael Lehmann dem Team bescheinigt, half auch über weitere Widrigkeiten hinweg: So war das Haus am Deich, in dem die Geschichte beginnt, nur über eine schmale Straße zu erreichen, die für LKW ungeeignet war, so dass das ganze Equipment umgeladen werden musste. Und in Hamburg waren insbesondere für die Continuity die Szenen eine Herausforderung, in denen Ben und Simpel in Hamburg mit Bus und Bahn unterwegs sind.
Auch wenn Hamburg im Film nie explizit benannt wird, wird es durch die Motivauswahl keineswegs versteckt – „man wird nicht übersehen, dass wir in Hamburg gedreht haben“, sagt Markus Goller. Vom Fischmarkt, wo Ben und Simpel zunächst landen, über Arias Wohnung im Schanzenviertel bis hin zur Reeperbahn (wo Ben und Simpel sich mit den Falschen anlegen und Prügel beziehen), boten die Drehorte für den (in Berlin lebenden) Münchner Goller durchaus noch viele Entdeckungen – und auch Chancen, die Emotionalität der Geschichte noch zu verstärken: „Auf der Reeperbahn war ich so noch nie unterwegs, es war immer wie ein Mythos für mich. Aber wenn du nicht im Party-Modus unterwegs bist, sondern hier die ganzen Hinterzimmer kennenlernst und die Menschen siehst, die hier normal verkehren, finde ich es erschütternd, weil’s schon ganz schön fertig ist und ganz schön traurig. Da kommt eben unser Sonnenschein Simpel rein in diese Welt, so erlebe ich es, und bringt Licht ins Dunkel.“
Für die Darsteller war Markus Gollers Regiestil ein ganz großes Plus über die gesamte Drehzeit hinweg. Frederick Lau erklärt, wie das dem Film zugutekam: „Markus ist ganz, ganz sensibel und feinfühlig, er vertraut einem. Und als Schauspieler kann man gar nicht anders, als ihm dieses Vertrauen zurückzugeben. Ich finde es wunderbar, wenn man etwas schafft, das sich gut und richtig anfühlt, und er einen dabei unterstützt und sich darüber freut, dass etwas Schönes, etwas Magisches passiert ist.“
So hat es auch David Kross empfunden: „Ich habe es noch nie erlebt, dass ein Regisseur auch so viel geweint hat bei den Dreharbeiten, weil er in der Szene gefühlsmäßig total dabei ist. Das ist toll als Schauspieler, weil du dann direktes Feedback hast – das pusht einen total.“ Und auch der Zusammenhalt der Darsteller hätte nicht besser sein können.
Emilia Schüle, die nicht nur mit David Kross, sondern auch mit Frederick Lau (u. a. in TOD DEN HIPPIES! ES LEBE DER PUNK!) schon gemeinsam vor der Kamera stand, sagt es so: „Es war voll das Heimspiel mit den Jungs; hier zu drehen, war wie Zuhause sein.“
Und auch Axel Stein fand sich in die Gruppe ein – schnell war eine gemeinsame WhatsApp-Gruppe eingerichtet, und Schüle stellte fest: „Wir waren echt eine coole Gang, es war sehr lustig mit den drei Jungs.“ Ein Extra-Lob reserviert sie dabei für einen der Jungs, David Kross: „Ich finde, David war gar nicht wiederzuerkennen. Er spielt so eine krasse Rolle, und er macht das so großartig. Ich habe ihm so gerne zugeschaut, ich konnte gar nicht weggucken und mich auf mein eigenes Spiel konzentrieren. Er war die ganze Zeit in der Rolle drin.“
Ähnlich ging es Axel Stein, was das Zusammenspiel von Kross und Lau betraf: „Ich habe den beiden unheimlich gern zugeguckt, weil das so ehrlich war. Und es war interessant zu beobachten, wenn zwei Männer keine Scheu haben, sich gegenseitig anzufassen, was dann auch wirklich authentisch als Brüderliebe rüberkommt.“ Und Frederick Lau ergänzt: „Es war vom ersten Tag an fantastisch. Man macht sich natürlich so seine Sorgen und denkt: Mal sehen, wie ich den Charakter hinkriege; man hat ja doch immer ein bisschen Respekt davor. David hat mir aber großartig geholfen. Es hat gleich gepasst, dass wir Brüder spielen.“ Sich berühren lassen – von einem Film, der Genre-Grenzen sprengt Das ungleiche Brüderpaar ist das Herzstück von SIMPEL. David Kross ist sicher, dass sich diese beiden Figuren in der Herzen des Publikums spielen werden: „Was auch für mich so berührend ist, dass beide denken, sie müssen auf den anderen aufpassen, beide ja mit ihren Macken. Beide glauben daran, dass sie unbedingt für einander da sein müssen und halten daran komplett fest.“ Für Michael Lehmann ist es „eine kleine Heldengeschichte, wie sie um ihre Brüderliebe kämpfen, weil sie wie jeder junge Mensch lernen müssen, ihren Weg zu gehen.“
Axel Stein fasst es für sich zusammen: „Es ist eine schöne, herzzerreißende Geschichte, die auch zum Nachdenken anregt – dass man andere respektieren soll, so wie sie sind.“ Markus Goller sagt es so: „Unsere Geschichte erzählt, wie wichtig ein Zuhause ist, wie wichtig Liebe untereinander ist, um loslassen und neu anfangen zu können.“
In den Abenteuern von Ben und Simpel stecken viele Geschichten gleichzeitig, die aber alle um das Thema Liebe und Vertrauen kreisen. Gerade das fand Emilia Schüle „wundervoll, weil es im deutschen Kino nicht viele Filme gibt, die eine so eine schöne Botschaft haben“. Ganz ohne oberflächliche Gags gibt es in SIMPEL viel zu lachen, wie David Kross sagt. „Es ist auch ein sehr lustiger Film, weil durch Simpels Benehmen viele absurde Momente entstehen, die aber auch sehr herzlich und sehr anrührend sind.“
Ist SIMPEL nun eine Komödie oder ein Drama? Wie man es nennt, ist eigentlich egal – Markus Gollers Versprechen ans Publikum steht: „Du wirst unglaublich berührt sein und du wirst gut lachen können. Es wird eine gute Reise und ein tolles Kinoerlebnis.“
Interview mit Produzent Michael Lehmann
Wie sind Sie zu dem Projekt gekommen?
Michael Lehmann: Ich war von der Geschichte begeistert, als ich das deutsche Hörbuch zum ersten Mal gehört habe. Über den Verlag sind wir mit einem französischen Produzenten zusammengekommen, dem wir die Kinorechte abgekauft haben. Von dort aus war es noch viel Arbeit, um eine deutsche Adaption zu entwickeln. Hier haben unsere Producerin Angelika Mönning und unser Autor Dirk Ahner eine besonders tolle Arbeit geleistet.
Wie entstand die Idee, „Simpel“ nach Deutschland zu verlegen?
Eine französische Komödie hat einen französischen Humor. Den hätte man nicht einfach nachbauen können, selbst wenn das unsere Absicht gewesen wäre. Aber Simpel ist eine universelle Geschichte, die genauso gut in einem deutschen Umfeld spielen kann. Mit dieser Überlegung ging die Entwicklungsarbeit los.
Was war der Schwerpunkt bei der Drehbuchentwicklung?
Um einen Kinofilm aus dem Stoff zu machen, mussten wir die Konzentration auf die beiden Hauptfiguren legen. Zuallererst ging es darum, die Figur Simpel greifbar zu machen, und dann – zunächst ganz sachte, im Lauf der Entwicklung aber immer mehr – auch Simpels Bruder, der bei uns Ben heißt.
Hat sich dadurch auch das Verhältnis der beiden Hauptfiguren zueinander verändert?
Ich habe den größten Respekt für die Vorlage, die einfach ein wunderbares Buch ist; darin war Ben aber immer ein bisschen am Rand und Simpel ganz eindeutig der Mittelpunkt. Wir machen einen Film über ein ungleiches, aber gleichwertiges Brüderpaar. Auf der Suche nach dem Charakter Ben haben wir festgestellt, dass er Simpel mehr braucht als umgekehrt: Ben muss lernen, seinen eigenen Weg zu gehen, den Simpel am Schluss ganz eigenständig findet.
Wie kam die Besetzung der Rollen zustande?
Bei David Kross war es ganz stark das Casting, das den Ausschlag gegeben hat. Das war vor über mehr als einem Jahr, und seitdem gehen wir auch gedanklich mit ihm in die Szenen rein. Frederick Lau ist relativ spät dazu gestoßen. Er ist ein guter Freund, mit dem wir bei Letterbox schon „Neue Vahr Süd“ gedreht und dafür den Deutschen Comedypreis gewonnen haben. Es hat mich wahnsinnig für Frederick Lau gefreut, dass er mit „Victoria“ so einen Erfolg im Kino hatte; und das war natürlich hilfreich bei der Besetzung. Aber wir suchen unsere Darsteller nicht nach Filmpreisen aus, sondern wählen die, die emotional am besten zur Rolle passen.
Wie erleben Sie die Arbeit von Markus Goller als Regisseur?
In der Zusammenarbeit mit Markus Goller habe ich etwas gefunden, was mich wahnsinnig freut: Ich habe selten einen Regisseur erlebt, der so sehr nach dem Herz der Figuren sucht wie er. Diese Gabe, die ich bis jetzt in allen seinen Filmen gesehen habe, wird er sich hoffentlich in seiner Karriere immer bewahren können. Die Fähigkeit, den Figuren so auf den Grund zu gehen, kommt einem gerade im Bereich der Komödie und Tragikomödie zugute. Denn als Regisseur hat er die Verantwortung dafür, niemals seine Figuren zu verraten.
Lässt er den Darstellern Freiheiten?
Für Markus Goller ist es ganz wichtig, kreativen Freiraum zu spüren und den Freiraum über die sieben Wochen, die der Dreh dauert, zu teilen. Bei so vielen Unwägbarkeiten und Problemen, mit denen es ein Regisseur tagtäglich zu tun bekommt, braucht er ein sicheres Umfeld. Denn nur dann kann der Regisseur dieses Vertrauen auch an die Schauspieler weitergeben. Markus Goller weiß sehr genau, was er will, was er sucht, was er braucht. Und er ist auf wunderbare Weise in der Lage, das zu vermitteln. Und dass er seinen Darstellern Freiheiten lässt, führt dazu, dass er von ihnen vor der Kamera auch einmal ganz ungewöhnliche Angebote bekommt.
Wie kamen Sie auf Emilia Schüle, die Aria spielt, und wie würden Sie ihre Rolle beschreiben?
Wir sind unter anderem durch unseren Tatort „Wegwerfmädchen“ auf sie aufmerksam geworden. Sie passt wahnsinnig gut zu den beiden Jungs. In der Geschichte ist der Ausgangspunkt für Ben und Aria denkbar schlecht; sie glaubt, dass die beiden eine Masche haben – sie glaubt sie zu durchschauen. Beide, Simpel und Ben, sind auf der Suche nach Wärme, etwas, was Ben sich aber so gar nicht eingestehen kann. Wie sich nach und nach zeigt, ist aber auch Aria eine Suchende. Sie hat zwar nach außen hin eine harte Schale, eine Schutzschicht, aber eben auch einen weichen Kern, und das spielt Emilia Schüle, die ja auch sehr verletzlich wirken kann, phänomenal.
Auch Devid Striesow als Vater, Anneke Kim Sarnau als Julia, die Mutter der beiden und Axel Stein als Enzo spielen wichtige Rollen – auf welchen Wegen sind sie zur Produktion gestoßen?
Es war relativ einfach, auf Devid Striesow als Besetzung der Rolle des Vaters zu kommen – da bedarf es gar nicht mehr als der Erklärung, dass er ein großartiger Schauspieler ist. Da gab es die Anfrage, seinerseits das Interesse, dann ein Treffen zwischen ihm und Markus Goller, und das war’s dann. Auch Anneke Kim Sarnau ist jemand, die mit nur ganz wenig Screentime den dramatischen Kontext, in dem die Figuren stehen, klarmachen kann. Ihre Bedeutung für die Story fußt auf ein bis zwei Szenen – mit denen ist das dramatische Fundament gelegt. Und außerdem passt Anneke Kim Sarnau hinter den Deich wie die Faust aufs Auge. Axel Stein hat eine ganz tolle Entwicklung gemacht. Er ist aus seinem frühen Rollenprofil ausgebrochen und kann eine Figur wie Enzo spielen, die für Simpel extrem wichtig ist. Bis dahin ist der Bruder alles, aber Enzo wird zu einem Freund, mit dem er auf der emotionalen Ebene auf Augenhöhe ist. Aber das Komödiantische spielt bei der Rolle auch mit; beim Casting mit Axel Stein sind wir hin und weg gewesen.
Wie wird die Postproduktion die Atmosphäre des Films noch verändern, beispielsweise durch die Musik?
Wir haben ein so starkes dramaturgisches Fundament – da ist man gar nicht so sehr auf dramatische Musik angewiesen. Unsere Komponisten Peter Horn und Andrej Melita haben großartige Arbeit geleistet und nahezu alle Songs des Films selbst komponiert und produziert. So konnten wir den Film auch aus musikalischer Hinsicht ganz rund bestücken.
Interview mit Regisseur Markus Goller
Was hat Sie davon überzeugt, die Regie bei SIMPEL zu übernehmen?
Markus Goller: Was mich angezogen hat, war, einen Menschen zu zeigen, der ohne die Masken, die wir alle haben, durchs Leben läuft; der völlig frei ist, und wie ein kleines Kind hundertprozentig auf das, was um ihn herum passiert, reagiert. Das fand ich spannend.
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Simpel und Ben – wie verhalten sich die beiden Brüder zueinander?
Ben hat eine Aufgabe, und die ist, auf seinen Bruder aufzupassen. Das ist sein Lebensinhalt. Er liebt seinen Bruder und braucht ihn – aber er muss lernen, dass es für ihn auch ein Leben außerhalb seines Bruders und der damit selbstauferlegten Aufgabe gibt, und loslassen. Für sich. Simpel ist am Ende derjenige, der ihm den Schritt abnimmt.
Wie hat sich das Zusammenspiel von David Kross und Frederick Lau entwickelt?
Wunderbar! Beide sind Menschen, die sehr auf die Situation reagieren. Das heißt, wir drehen natürlich schon nach Buch, versuchen aber immer die Momente, die beim Drehen der jeweiligen Situation entstehen, einzufangen. Die besten Dialoge entstehen aus der Situation heraus. Wenn die Schauspieler die Figuren sind, sie leben. Und da sind David und Freddie die Meister. Die zwei sind klasse miteinander, das hat sich schon in der ersten Drehwoche gezeigt, als wir am Wattenmeer bei Jever die Angangsszenen des Films gedreht haben: wo sie herkommen, wie sie zusammen sind, was die Konstellationen sind. Das ist sehr schön geworden, ihnen nimmt man die Bruderliebe und das gegenseitige Aufeinander-angewiesen-Sein gut ab.
Hat es den beiden beim Dreh am meisten Spaß gemacht, sich im Watt zu wälzen?
Ich glaube nicht, dass das sehr viel Spaß gemacht hat, denn da war es sehr kalt. David ist da wirklich in der Unterhose im Wattenmeer bei Temperaturen um den Gefrierpunkt rumgeschlingert. Leider sieht man die Kälte im Film nicht.
Lassen Sie den beiden viel Raum für Improvisationen?
Das ist bei mir immer so. Improvisationen innerhalb des Handlungsrahmens sind wichtig. Die Figuren entwickeln sich ja in dem Moment, wo man spielt. Da merken wir was funktioniert und was nicht.
Gilt das Improvisieren auch für die ganz spezielle Sprache, die Simpel spricht?
Ja, klar. Wir haben ein paar Situationen erst beim Proben entdeckt und sie noch dazu gepackt. Das hat sich so schon in eine andere Richtung entwickelt, als es im Buch beschrieben war.
Buch und Film haben aber durchaus gemeinsam, dass Simpels Behinderung einfach eine Tatsache ist, von der aus sich alles Weitere entwickelt…
Genau. Es geht überhaupt nicht darum, die Behinderung zu „glorifizieren“. Simpel ist eben genau so, wie er ist, und er reagiert eben auf das, was so passiert. Und wenn das nicht gut ist, dann reagiert er negativ, in ganz verschiedenen Stufen, je nachdem, wie stark die Energie ist, auf die er trifft und was es für ihn bedeutet. Wir wollen nicht, dass man über ihn lacht, sondern dass der Humor aus der Situation herauskommt.
Steht SIMPEL für Sie auch in der Tradition des Buddy Movie?
Es ist natürlich eine andere Konstellation, aber vom Gefühl her ist es schon ein bisschen Buddy Movie. Dadurch, dass es zwei Brüder sind, sind die Vorzeichen andere, aber wir gehen mit engsten Vertrauten auf die Reise, die ihr Abenteuer durch die gemeinsame Liebe und die daraus resultierende Geborgenheit und Sicherheit untereinander bestreiten.
Trotz der Schauplätze an der Küste und in Hamburg ist SIMPEL kein ausgesprochen norddeutscher Film, oder?
Das war nicht unsere Intention. Unser Setting ist visuell zwar ganz klar norddeutsch, wir haben aber versucht, die Story und die Charaktere universell zu gestalten. Mit ein paar Nebenrollen wollten wir dem Ganzen einen norddeutschen Akzent geben. Die Geschichte könnte aber auch überall spielen, ganz anders als beispielsweise in meinem Film „Eine ganz heiße Nummer“, wo die Figuren und die Story ganz klar einen bayerischen Hintergrund haben und den auch brauchen.
Wie haben Sie als Bayer die ostfriesische Landschaft erlebt?
Es war eine Beziehung, die sich entwickelt hat. Wir haben Locations bei ständig gruseligem Wetter gesucht; wir waren im Dezember und Januar unterwegs und dann ist da oben einfach gar nichts los. Es ist wirklich tote Hose. Aber es ist landschaftlich wahnsinnig schön. Die Weite ist das Abgefahrene daran. Alles ist flach, du kannst unendlich gucken – ein bisschen wie in Amerika.
Wie passt Aria, der Ben und Simpel auf der Flucht vor den Behörden begegnen, zu den beiden?
Wir haben Aria als junge Frau in der großen Stadt konzipiert, die eigentlich alles dort machen kann, alles hat, eigentlich mitten im Leben steht, aber eben auch sehr allein ist. Ben und Aria sind komplementäre Figuren, die beide eine Leerstelle im Leben haben, aber es nicht eigestehen. Ich mag es gern, wenn die Frauenfiguren rough, selbstbewusst sind. Emilia Schüle gibt das der Aria.
Wie haben Sie die Rolle des Vaters angelegt?
Sie war nicht schwer zu besetzen; ich hatte immer Devid Striesow im Kopf, auch wenn er vielleicht relativ jung dafür erscheint. Ich finde Devid faszinierend: Er hat diese Ambivalenz – warm und liebevoll auf der einen Seite, bestimmt, klar und unberechenbar auf der anderen. Devid ist super als Vater, der ja nicht einfach nur ein Böser ist, sondern ein Riesenproblem durch sein Leben schleppt: Er glaubt, schlecht dazustehen, wenn er ein Kind mit einem Makel hat, anstatt es anzunehmen. Diesen Zwiespalt versuchen wir herauszuarbeiten.
Wie passt SIMPEL zu ihren bisherigen Filmen?
Jeder Film ist anders – Das Besondere ist natürlich die Geschichte, sind die Figuren. Ich versuche immer, vom Gefühl her zu kommen und mich in die Charaktere hineinzuversetzen. Situationskomik kriegt man nur aus der Wahrhaftigkeit der Figur heraus und nicht, weil’s jetzt gerade lustig sein muss. So sehe ich das Leben halt auch: als Weg, auf dem wir alle wachsen müssen. Dabei passieren auch Sachen, die nicht so sind, wie wir sie gerne hätten, aber im Prinzip ist es etwas sehr Heiteres. So versuche ich, die Geschichten, die ich erzähle, anzugehen.
Quelle: Presseheft